Amerikas Kreuzzüge

 

 

 

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Gastbeitrag

Ulrich Thurmann

AMERIKAS KREUZZÜGE

Der Zweck des Ausbaus von Wiesbaden-Erbenheim

13.05.2011

 

Die Frage nach dem Zweck des Ausbaus von Wiesbaden-Erbenheim zur Einsatzzentrale für die Kampftruppen der USA stellt sich auf dem Hintergrund früherer „Kreuzzüge“ ihrer Präsidenten.

 

Im Ersten Weltkrieg verlängerten die USA nach Erschöpfung der kriegführenden Parteien 1917 mit frischen Kräften den Krieg und verhinderten einen Verständigungsfrieden. Statt dessen ließen sie ein Diktat zu, das die Unterlegenen ausgrenzte und eine Grundlage für zukünftige Konflikte legte. Dem von ihnen selbst geforderten Völkerbund traten die USA nicht bei. Ihrem Gedanken des „Selbstbestimmungsrechts der Völker“ (der gegenüber den amerikanischen Südstaaten nicht gegolten hatte) folgte die Zerlegung der Reiche der Kriegsgegner in „Nationalstaaten“, in denen jeweils ein „Staatsvolk“ die „ethnische Säuberung“ aller anderen Gruppierungen betrieb.

 

1941 traten die USA in den Zweiten Weltkrieg ein, verlängerten diesen fürchterlichsten Krieg aller Zeiten durch die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation und ließen den Gedanken an einen Friedensschluß gar nicht erst aufkommen. Als Ergebnis dieses erneuten „war to end all wars – to make the world safe for democracy“ überließen die USA die Völker von der Elbe bis zum Pazifik dem Terror kommunistischer Gewaltverbrecher, nachdem diese gerade dem Terror nationalsozialistischer und japanischer Gewaltverbrecher entronnen waren. Die Grundlagen für einen über vierzigjährigen „kalten Krieg“ waren gelegt.

 

1965 traten die USA in den Krieg in Vietnam ein, töteten dort sowie in Laos und Kambodscha drei Millionen Menschen (davon zwei Millionen Zivilisten), fügten vier Millionen Menschen schwere Verletzungen zu und mußten nach zehn Jahren das Land fliehend verlassen. Vietnam, Laos und Kambodscha wurden kommunistisch. Die kommunistischen Gewaltverbrecher in Kambodscha schlachteten zwei Millionen Menschen ihrer eigenen Bevölkerung ab, was die USA untätig beobachteten. Hilfe kam den überlebenden Kambodschanern vom kommunistischen Vietnam.

 

1991 schickten die USA im Zweiten Golfkrieg Truppen gegen den Irak, nachdem sie noch im Ersten Golfkrieg gegen den Iran (1980 – 1988) den irakischen Diktator unterstützt hatten. Nach dem 11.09.2001 sahen die USA die Gelegenheit zur endgültigen Eroberung des Irak. Eine Bedrohung der USA durch das angegriffene Land gab es auch hier nicht. Die USA besetzten 2003 in einem völkerrechtlich geächteten Angriffskrieg den Irak (Dritter Golfkrieg), kamen anschließend (wie in Afghanistan) mit den örtlichen Stammesstrukturen nicht zurecht und müssen sich jetzt nach hohen Opfern unter der Bevölkerung zurückziehen.

 

Es bleibt zu wünschen, daß unsere amerikanischen Gäste nicht wieder wie 2003 von Wiesbaden-Erbenheim aus in einen „Kreuzzug“ geführt werden, sondern im Rahmen der gemeinsamen Verteidigungsstrukturen allein der Sicherheit gegen tatsächlich erfolgende Angriffe dienen.

(Der Leserbrief bezog sich auf „Ein kleines Pentagon für Wiesbaden“ in der FAZ vom 13.05.2011. Er wurde in der Rhein-Main-Ausgabe der FAZ vom 06.06.2011 unter der Überschrift „Amerikas Kreuzzüge“ leicht verändert abgedruckt. Danach meldete sich bei mir ein empörter amerikanischer Zivilangestellter der Militärbasis Erbenheim, mit dem ich unter Hinzuziehung der jeweiligen Frauen ein sehr freundschaftliches Gespräch bei Kaffee und Kuchen führte. Er blieb bei seiner festen Überzeugung, daß die USA eine geopolitische Aufgabe als „Weltpolizist“ hätten).

 

 

Ergänzungen zum Leserbrief in FAZ vom 06.06.2011

13.06.2011

 

Nach zustimmenden wie kritischen Reaktionen auf meinen Leserbrief in der FAZ “Amerikas Kreuzzüge“ vom 06.06.2011 hier einige Ergänzungen. Ich betone, daß ich gegenüber den USA und ihrer Bevölkerung freundschaftliche Gefühle hege. Auf ihre kriegführenden Präsidenten trifft dies allerdings nicht zu.

 

Ausgangspunkt für meinen Leserbrief war mein Erstaunen während der letzten Monate darüber, daß die Tatsache eines für mehr als eine halbe Milliarde Dollar in Wiesbaden errichteten neuen militärischen Hauptquartiers der USA in der deutschen Politik nicht diskutiert wurde (es kann natürlich sein, daß ich da etwas verpaßt habe). Wie stehen Bundesregierung und Bundestag, Landesregierung und Landtag zu der Steuerung zukünftiger weltweiter Militäraktionen der USA von deutschem Boden aus? Hat die Bundesrepublik Deutschland hier irgendwelchen Einfluß? Bei der Entsendung der damals in Erbenheim stationierten Panzereinheiten nach dem Irak im Jahre 2003 habe ich von einem derartigen Einfluß nichts gehört. Hat man sich überlegt, daß Wiesbaden gerade im Falle der Steuerung eines militärischen Eingreifens von Wiesbaden-Erbenheim aus für den Kriegsgegner (wer das auch sein mag) ein Hauptziel von Gegenangriffen wird?

 

Inhaltlich bin ich allerdings der Meinung, daß es für sehr viele Länder und ihre Bevölkerungen besser gewesen wäre, die USA hätten in den von mir genannten vier Fällen ihre Soldaten zu Hause gelassen. Außer von Japan (das Roosevelt jedoch vorher sehr stark provozierte) waren die USA in keinem Fall angegriffen. Man braucht nur jeweils die genannte Motivation für den Eintritt in diese Kriege mit dem Ergebnis zu vergleichen. Im Ersten Weltkrieg war es z.B. der Slogan „war to end all wars – to make the world safe for democracy“, der auch nach schon 1919 geäußerter Meinung herausragender Politiker, Wissenschaftler und Militärs aus den USA und Großbritannien (z.B. Lloyd George, Staatssekretär Lansing USA, William Bullitt von der US-Delegation in Versailles, John Maynard Keynes, Douglas MacArthur) durch die Pariser Vorortverträge ad absurdum geführt wurde. Der nächste Krieg wurde damals schon vorausgesehen.

 

Im Zweiten Weltkrieg zogen die USA zur Unterstützung von Großbritannien in den Krieg. Großbritannien hatte Deutschland wegen dessen Überfalls auf Polen den Krieg erklärt. Als einige Tage später die UdSSR (in Abstimmung mit Hitler!) ebenfalls Polen überfiel, geschah nichts dergleichen. Die USA unterstützten vielmehr die UdSSR mit gewaltigen Mengen Kriegsmaterial (Lend-Lease-Programm), obwohl diese gemäß ihrem Vertrag mit Hitler nicht nur das östliche Polen, sondern auch noch die baltischen Staaten und Finnland überfiel. Das ist eine der großen Ungereimtheiten im Verhalten der USA. „Reimen“ tut es sich allerdings dann, wenn es England, Frankreich und den USA nicht um die Freiheit Polens ging, sondern um Deutschland.

 

Wenn man die heute über die Gespräche zwischen Roosevelt und Stalin in Teheran und Jalta zugänglichen Informationen liest, stehen einem die Haare zu Berge. Roosevelt hat ohne Not Stalin die Länder und Bevölkerungen von der Elbe bis zum Pazifik, d.h. von der zukünftigen sowjetischen Besatzungszone bis einschließlich China, als Einflußzone (sprich Herrschaftsgebiet des Kommunismus) zugesprochen. Er hatte keinerlei Mandat dafür – weder von seinem Parlament noch von seiner Regierung. Auch die betroffenen Völker und ihre Regierungen oder Exilregierungen wußten von nichts. Roosevelt ist inhaltlich sozusagen persönlich als Hitlers Nachfolger gegenüber Stalin in die Abmachungen des Ribbentrop–Molotow–Paktes eingetreten, nach denen Deutschland (und dann ebenso Roosevelt) den Sowjets die baltischen Staaten, Finnland und das östliche Polen überließ. Roosevelt dehnte dies in Jalta auf ganz Polen, den größeren Teil Deutschlands, die übrigen Länder in Osteuropa und dem Balkan sowie auf ganz China und Teile Japans aus. Der Machtbereich des Kommunismus wurde als Ergebnis des Zweiten Weltkriegs mit aktiver Unterstützung Roosevelts von 170 auf 800 Millionen Menschen vergrößert.

 

Roosevelt steigerte sich während der Krieges in einen Allmachtwahn, in dem er alle heimischen Kontrollinstanzen ausschaltete und gemeinsam mit dem anderen Alleinherrscher, seinem Freund „Uncle Joe“ Stalin, die Welt in zwei große Machtsphären aufteilte. Das wirkte nicht nur im Kalten Krieg, sondern bis heute nach. China wäre nicht kommunistisch geworden, wenn Roosevelt die Nationalisten und nicht die Kommunisten unterstützt hätte. Er hat Tschiang Kai-Shek gezwungen, die Kommunisten in seine Regierung aufzunehmen und hat die enormen Kriegsmaterialien, die Japan bei seiner Niederlage in China zurücklassen mußte, den Kommunisten zugeteilt, anstatt sie den Nationalisten zu geben.

 

Bei meiner Lektüre zu den vier Kriegen sind mir einige Gemeinsamkeiten aufgefallen.

In jedem dieser Fälle war die Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung gegen den Kriegseintritt der USA. In jedem dieser Fälle war es ein Präsident (Wilson, Roosevelt, Johnson, Bush II), der den Kriegseintritt aktiv betrieb. Wer sich für die Genese der Kriegseintritte der USA interessiert, kommt um das Studium der Bemühungen dieser Präsidenten nicht herum, ihre kriegsunwillige Bevölkerung allmählich kriegsbereit zu machen. In jedem Fall inszenierten sie Ereignisse, manipulierten die Nachrichten und täuschten ihre Bevölkerung über ihre Absichten und/oder den Kriegsgrund (besonders drastisch Roosevelt, der weder die amerikanische Bevölkerung noch den Kongress noch seine eigenen Minister und obersten Militärs über seine Gespräche mit Churchill und Stalin voll unterrichtete – schon gar nicht über die getroffenen Geheimabsprachen).

 

In jedem dieser Fälle wurde das Eintreten der USA in diese Kriege moralisch stark überhöht und von einem „Kreuzzug“ gesprochen. Der Feind (Deutsches Reich / Habsburgerreich / Osmanisches Reich / Drittes Reich / japanisches Kaiserreich / Kommunismus / Islamismus) wurde als ethisch auf tiefster Stufe stehend dargestellt. Das schloß jede Verhandlung aus und ließ nur die völlige Unterwerfung bis Vernichtung als Kriegsziel übrig. Zur Erreichung dieses Ziels wurde auch friedensuchenden Personen oder Gruppierungen auf der Gegenseite jedes Gespräch verweigert. In Verbindung mit dem Kriegsziel „bedingungslose Kapitulation“ führte das zum „totalen Krieg“ und der Verlängerung der Kriegshandlungen bis zur totalen Vernichtung der Gegner, die nicht mehr die Chance hatten, sich mit Aussicht auf Überleben zu ergeben (heutige Parallele: Gaddafi). Ein lang andauernder Friede wie z.B. der Westfälische Friede wurde unmöglich gemacht. Das Gerede vom Kreuzzug entfremdete schon aus historischen Gründen überflüssigerweise alle Moslems. Den Kriegen der USA wurde der Charakter von Religionskriegen gegeben.

 

In jedem dieser Fälle wurden die politischen und sozialen Verhältnisse in den Kriegsregionen von den USA falsch eingeschätzt. Als Beispiele nenne ich für den Ersten Weltkrieg das Deutsche Reich, das habsburgische Reich und das Osmanische Reich. Wilson verstand nicht, daß diese Gebilde nach jahrhundertelangen Kämpfen und Friedensschlüssen eine angemessene Form darstellten, die vielfältigen Völkerschaften einigermaßen friedlich zusammenleben zu lassen. Die Beseitigung dieser übergeordneten Klammern ließ den Nationalismus in seiner übelsten Form ausbrechen. Plötzlich waren verschiedensprachige Menschen nicht mehr Nachbarn unter einem gleichen Recht, sondern gehörten einer ethnischen Gruppe an, die sich bis zur Vertreibung und Vernichtung von allen anderen abgrenzte. So wie die USA ein Schmelztiegel aller Einwanderer waren, sind diese Reiche Garanten für ein möglichst friedliches Zusammenleben aller Gruppierungen gewesen.

 

Diese Reiche nicht nur militärisch zu unterwerfen, sondern sie auch noch auseinanderzubrechen und den Zündstoff des ungezügelten Nationalismus hineinzuwerfen, machte die Friedensarbeit von Jahrhunderten in kürzester Zeit zunichte. Die USA hätten es bei sich nie zugelassen, daß jeder Bundesstaat plötzlich souverän wird. Aus machtpolitischer Sicht erschien es vielleicht zweckmäßig, die geschlagenen Kriegsgegner in einen Haufen sich befehdender Einzelgebilde zu zerlegen, die leicht zu manipulieren waren (divide et impera). Unter dem Gesichtspunkt des Friedens in Europa war es eine Katastrophe. Die Europäer benötigten noch den Zweiten Weltkrieg, um zu lernen, daß man wieder so etwas Ähnliches wie ein „Reich“ brauchte: Sie bildeten stufenweise die Europäische Union.

 

Und so wurden in keinem dieser vier Fälle die gegenüber der US-Bevölkerung und der Weltöffentlichkeit erklärten Kriegsziele erreicht, die doch den Kampfeinsatz und das Opfer von Millionen junger Männer rechtfertigen und Friedenshoffnungen wecken sollten und auf die sich alle verlassen mußten (Wilsons 14 Punkte, Roosevelts und Churchills Atlantic Charter, Johnsons Zurückdrängen des Kommunismus, Bushs Beruhigung des Nahen Ostens). Stets wurde das Gegenteil erreicht. Vielleicht waren die Friedensparolen auch gar nicht so gemeint. Vielleicht sollten sie nur kriegsbereit machen. Anschließend war die Situation in den vom Krieg überzogenen Gebieten jeweils schlimmer als vorher.

 

Es handelte sich bei den genannten Kriegen der USA – von den angewandten Methoden und den Ergebnissen her betrachtet – um schlichten Imperialismus. Die Nichtbeteiligung Deutschlands am Dritten Golfkrieg und am Krieg gegen Gaddafi ist ein Zeichen, daß Deutschland seine Lektion lernt. Wenn man nicht wie in Afghanistan zu den „Willigen“ gehört, muß man allerdings wie bei Libyen die Mißbilligung interventionistisch gesinnter Amerikaner ertragen in der Gewißheit, daß auch in den USA die überwiegende Mehrheit der Menschen gegen kriegerische Interventionen ist. Bundesregierung und Bundestag sollten genau beobachten, ob von Wiesbaden-Erbenheim aus wie in der Vergangenheit unilaterale Militärinterventionen durchgeführt werden, die nicht mit UNO oder NATO und damit mit Deutschland abgestimmt sind. Hier müssen – wenn nicht schon geschehen – vertragliche Sicherungen geschaffen werden.

 

Das „europäische Pentagon“ in Erbenheim ist offensichtlich auf lange Dauer angelegt. Den USA muß klargemacht werden, daß von deutschem Boden keine „pre-emptive wars“ mehr ausgehen dürfen. Auch muß allen Staaten klargemacht werden, daß eine Stimmenthaltung oder ein Nein bei einer von vielen anderen für notwendig gehaltenen Militärintervention sich nicht gegen diese Staaten richtet, sondern schlicht das Ergebnis eigenständigen Denkens ist: Wenn Stammesgesellschaften wie im Irak, in Afghanistan oder in Libyen sich bekämpfen, dann kann man diese jahrhundertealten Antagonismen nicht mit Militär ausrotten und Demokratie weder mit Militär noch anderen Mitteln durchsetzen. Viel wichtiger wäre es, unbewaffneten Opfern großangelegter Ausrottungsaktionen wie den Armeniern, den Juden, den Kambodschanern und den Tutsis rechtzeitig im internationalen Verbund mit Auftrag der Völkergemeinschaft zu Hilfe zu kommen. Das ist aber nicht geschehen.

 

Die hier zu den Kriegen der USA formulierten Überlegungen dürften von offiziellen Vertretern Deutschlands nicht geäußert werden – ja nicht einmal gedacht werden. Die USA sind immer noch die größte Militärmacht der Welt. Sie dulden als Hegemonialmacht keine zu mächtig werdenden Machtzentren. Sie haben als großer Bruder Großbritanniens und Frankreichs in zwei blutigen Kriegen Deutschland sukzessive kurz und klein geschlagen. Sie haben Westdeutschland danach nur deswegen nicht gemäß dem von Roosevelt bereits gebilligten Morgenthau-Plan endgültig zum Entwicklungsland gemacht, weil sie es im Kalten Krieg gegen die UdSSR benötigten. Insofern waren vielleicht eher die Sowjets als die USA Urheber unserer allmählich wiedergewonnenen Selbständigkeit und unseres wieder wachsenden Wohlstandes. Die USA erwarten auch jetzt noch nach dem Fall des sowjetischen Kommunismus Gefolgschaft, wie Verteidigungsminister Gates überdeutlich machte. Ministerin Lagarde aus Frankreich forderte, daß Deutschland freiwillig seine Wirtschaftskraft schwächt.

 

Hier wird Deutschland auf den Weg Konrad Adenauers, Willy Brandts und Helmut Kohls zurückkehren müssen. Das erfordert langfristige Beharrlichkeit, die wieder Vertrauen schafft. Es muß klar sein, daß Deutschland kräftig sein will und ist, daß aber diese Kraft niemals zu einem Sonderweg oder einem Versuch der Dominanz in der EU werden darf. Andererseits kann Deutschland erwarten, daß alle EU-Staaten sich an gemeinsame Regeln halten (sonst wird dieses neue friedensstiftende „Reich“ zerfallen und zu inneren Kämpfen übergehen). Deutschland (und mit ihm die EU) kann aber auch erwarten, daß die gemäßigten Kräfte in den USA sich gegen die dauernde latente Interventionsbereitschaft des dortigen militärisch-industriellen Komplexes durchsetzen, vor dem schon Präsident Eisenhower in seiner Abschiedsrede 1961 warnte.

 

Und – wie gesagt – es muß den USA deutlich gemacht werden, daß „pre-emptive wars“, an deren völkerrechtliche Anerkennung Merkel und Schäuble 2003 dachten, weiterhin ebenso grundsätzlich nicht unterstützt werden. Die Versuchung, nötigenfalls auch unilateral oder mit „willigen“ Verbündeten Staaten anzugreifen, die entweder mit dem internationalen Terrorismus in Verbindung gebracht werden oder ihre Bürger massakrieren, wird für die Freunde militärischen Eingreifens immer groß sein, wenn es um geostrategisch interessante Regionen geht. In diese Kriege hineinzugehen ist immer leichter als wieder herauszugehen – mit einem vertretbaren Ergebnis aber wieder herauszukommen ist praktisch unmöglich. Mit Krieg schafft man keinen Frieden nach eigenen Vorstellungen, wie auch die vier in meinem Leserbrief vom 06.06.2011 genannten Fälle beweisen (selbst Bismarcks Friede hielt nur 43 Jahre und mündete nach seinem Tod in die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“).

 

Deutschland sollte gemeinsam mit Partnern behutsam für ein Umdenken mit gutbegründeten Argumenten werben, sonst wird unsere geschwächte Bundeswehr in fragwürdigen Einsätzen verheizt. Adressaten für ein derartiges Werben sind unsere Verbündeten USA, Großbritannien und Frankreich. Zum Grundwissen gehört hierbei, daß man sich über die Stärke der Freunde des Imperialismus in den USA keine Illusionen macht. Wenn sie könnten, würden sie im Falle einer aus ihrer Sicht mangelnden Gefolgschaft – d.h. zu großer wirtschaftlicher und politischer Selbständigkeit Deutschlands – auch wieder härtere Saiten aufziehen. Da Großbritannien immer den USA folgen wird, sollte Deutschland geopolitisch zumindest mit Frankreich in engem Einvernehmen leben.

 

Vor Ort in Deutschland wird sich am Standort Wiesbaden-Erbenheim jeweils erweisen, wie der Kampf in den USA um militärische Interventionen steht.

 

 

 

Ulrich Thurmann, Staatssekretär a.D.

thurmann.walluf@t-online.de